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Schiffsmodell.net

Rekonstruieren eines Schiffes


Guest Motti

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Guest Motti

Dieses Posting war im Original an dieser Stelle

 

 

 

Moin auch,

 

 

 

gerade passend zu dem Thema habe ich die vorletzte Nacht damit rumgekriegt, die 118' WallyPower aus ähnlichen Unterlagen, wie sie wohl für die Visby vorliegen, zu rekonstruieren. Abstriche bezüglich der Orginaltreue wird man natürlich in jedem Fall machen müssen, wobei allerdings auch nicht gesagt ist, dass ein fertig gekaufter Plan, selbst wenn er auf Basis von Werftzeichnungen erstellt wurde, wirklich stimmt bzw. ob er das jeweilige Schiff tatsächlich so zeigt, wie es denn letztendlich auch gebaut wurde oder ob es womöglich irgendein alter Plan aus einer frühen Projektphase ist.

 

 

 

Der nachfolgende Text ist als Ergänzung zu Commodores Ausführungen zu verstehen.

 

 

 

Man sammelt jedes nur erdenkliche Foto und jede nur greifbare Zeichnung, ob 2D oder 3D, was man eben kriegen kann.

 

 

 

Vor allem benötigt man Â? wen wundert's Â? mindestens eine Seitenansicht und eine Draufsicht. Davon macht man als erstes eine möglichst einfache Zeichnung, die nur die wesentlichen Merkmale des Schiffes wiedergibt. Alle Masten, Antennen und sonstiges Gerödel, das nicht zur Grundform gehört, bleibt ersteinmal außenvor, eventuell sogar die Aufbauten und Deckshäuser.

 

 

 

Ich bin ja Papierhasser und nehme für solche Aufgaben eine sehr simple 2D-Vektorgrafiksoftware namens GraphicWorks, wo man *.bmp-Dateien als Vorlagen einfügen und dann entsprechend skalieren kann.

 

 

 

Hierzu noch kurz eine Anmerkung: Alle Dinge, die ich in dieser Beschreibung mit der entsprechenden Software erledige, lassen sich im Prinzip genauso gut von Hand mit Papier und Bleistift machen. Die Computerprogramme sind reine Werkzeuge, die einem im iterativen Entwurfsprozess manche Fleißarbeit ersparen, aber keinesfalls die geistige Arbeit oder das Gespür und Empfinden für Formen abnehmen!

 

 

 

Nach dieser Vorlage werden dann die Umrisse (hier rot) nachgezeichnet (so genau das eben geht; die Vorlage wird bei hohem Zoom schnell pixelig) und mit diversen Hilfslinien (hier blau) gespickt, die wichtige Punkte und Maße markieren. Das ganze sieht dann in etwa so aus, wobei das nachfolgende Bild zugegebenermaßen ein Fake für diese Beschreibung ist, auf dem nicht alle benötigten Maße dargestellt sind:

 

 

 

Bild1.jpg

 

(Bild 1 - Erste Skizze)

 

 

 

Dieser Zeichnung folgen dann noch weitere in analoger Manier für die Draufsicht, in meinem Fall dann noch für einen Längsschnitt, auf dem man die Lage der einzelnen Decksebenen erkennen kann und Â? sofern man Vorlagen hat Â? für Ansichten von vorn und von achtern (die ich nicht hatte).

 

 

 

Es empfiehlt sich Â? so wie ich es im Fall der Wally auch getan habe Â? den Rumpf in möglichst einfache Teile zu zerlegen und bestimmte Bereiche ersteinmal zu vereinfachen. In meinem konkreten Fall bedeutet das, dass ich z.B. die großen Lufteinlässe weggelassen und auch den negativen und in der Draufsicht gekrümmten Spiegel zuerst als geraden Spiegel gezeichnet sowie den Ausschnitt unter dem Heck, wo die Jetantriebe sitzen, ignoriert habe. Als andere Beispiele fallen mir Wellentunnel, Ankertaschen, Fenster/Bullaugen, möglicherweise Schanzkleider, Bulbsteven oder Querstrahlruder ein.

 

 

 

Durch die 2- oder 3-Seiten-Ansichten, die Fotos oder auch 3D-Darstellungen (für die Visby habe ich hier ein halbwegs brauchbares Bild gefunden) sollte man mittlerweile eine ganz gute Vorstellung davon haben, wie das Schiff auch unter Wasser aussieht. Gerade bei Knickspantern wie der Wally und teilweise auch der Visby kann man den Verlauf von Knicken, die über Wasser beginnen, auch im Unterwasserschiff gut erraten, da hier i.d.R. strakende Linien zu erwarten sind. Wer schon einmal eine Straklatte in der Hand hatte oder wenigstens mal Holzleisten gebogen hat, sollte ein Gefühl dafür haben, wie sich strakende Linien fortsetzen. Wer halbwegs gut zeichnen kann, versucht vielleicht einmal, den vereinfachten Rumpf dreidimensional zu Papier zu bringen, am besten in einer Perspektive, für die es auch ein passendes Foto gibt.

 

 

 

Jetzt kommt der Moment, wo ich das nächste Computerprogramm starte: Hullform ist eine Software, die ursprünglich 1983 von den Australiern für den Entwurf ihres damaligen America's Cuppers (die Australia II von Ben Lexcen mit dem legendären und damals revolutionären Flügelkiel mit umgekehrtem Zuspitzungsverhältnis, mit der sie damals Dennis Conners Stars & Stripes weggebügelt haben) entwickelt wurde. Mit ihr lassen sich Linienrisse generieren und das in meinen Augen Schöne daran ist, dass die Vorgehensweise, mit der man mit diesem Programm arbeitet, jener im Handzeichnen sehr ähnlich ist Â? im Gegensatz zu Flächenmodellierern wie z.B. FastShip, Maxsurf, MultiSurf oder ähnlichen. Nachteilig ist allerdings, dass Hullform eigentlich nur für den Yachtentwurf gedacht ist und sich z.B. mit einem Containerschiff sehr schwer tun würde. Möglich wäre es zwar, aber man müsste Hullform dafür doch ganz schön vergewaltigen, denn es ist durch seine entsprechenden Algorithmen darauf ausgelegt, möglichst klare strakende Formen zu erzeugen. Hullform kann man als funktionsfähige Demoversion hier downloaden. Ich verwende 2 Versionen parallel: Die alte DOS-Version 6.0, um die ersten Entwürfe zu machen (da die alte Version nicht gleich automatisch über sog. "Master Sections" versucht, alle Linien sofort auszustraken, was bei eher eckigen Formen oder dem Ausschnitt für die Jets unter dem Heck doch sehr störend ist) und die neue 9er Version für die Feinarbeiten (wegen der besseren Bildschirmauflösung und weil sie mehr Funktionen hat).

 

 

 

Bild2.jpg

 

(Bild 2 - 3D-Ansicht in Hullform)

 

 

 

Bild3.jpg

 

(Bild 3 - Bearbeiten des Decksstraks in Hullform)

 

 

 

Über die genaue Bedienung von Hullform will ich an dieser Stelle keine großen Worte verlieren (das würde den Rahmen doch massiv sprengen; wenn es jemanden interessieren sollte, bitte PN an mich und ich will gerne ein paar Takte dazu schreiben), sondern nur so viel sagen:

 

 

 

Hullform 6 beginnt mit 3 Spanten (Steven, Hauptspant und Spiegel), die man ersteinmal so nach seinen Vorzeichnungen und dem Bild des Schiffes, das man im Kopf hat, in Form bringt. Zumindest die z-Werte (z=Hochachse) an den einzelnen Spanten kennt man ja aus seiner Seitenansicht, die maximalen Breiten (y-Werte) aus der Draufsicht und alle anderen y-Werte muss man dann nach Augenmaß aus den zur Verfügung stehenden Fotos abschätzen. Danach setzt man an den interessanten Stellen (also da, wo sich die Rumpfform signifikant ändert) weitere Spanten, passt sie an und lässt Hullform dann in den Zwischenräumen automatisch weitere Spanten einfügen. In 99.9% der Fälle werden jetzt an verschiedenen Stellen Fehler auftreten, die durch den "Willen" des Programms, harmonische Formen zu erzeugen, entstehen. Ein einfaches Beispiel:

 

 

 

 

 

Bild4.jpg

 

(Bild 4 - Unerwünschtes automatisches Straken)

 

 

 

A zeigt den Verlauf einer Deckslinie, wie sie sein soll: Die Spanten 2 und 3 (ich habe hier analog zu Hullform das angelsächsische System gewählt, bei dem Spant 0 das vordere Lot ist und nach achtern positiv gezählt wird) haben denselben y-Wert, da die Bordwände im Achterschiff parallel laufen sollen. Wenn man nur diese 4 Spanten hat und sie ohne weiteres Zutun von Hullform ausstraken ließe, ergäbe sich ein Verlauf wie in B: Der konvexe Kurventeil im Vorschiff wird zwangsweise durch eine konkave Biegung im Achterschiff wieder ausgeglichen. Hier muss man also einen weiteren Spant zwischen 2 und 3 einfügen und dessen y-Wert für die jeweilige Kurve entsprechend definieren, um den gewünschten Kurvenverlauf zu bekommen.

 

 

 

Nach einigen Korrekturen (Speichern Â? auch von Zwischenversionen Â? nicht vergessen!) hat man so einen Riss, nach dem man nun einen Plan zeichnen kann. Früher habe ich an dieser Stelle dann doch mit Papier, Bleistiften, Straklatten und Linealen weitergemacht, heute habe ich SolidWorks zur Verfügung.

 

 

 

Wer nun aus welchen Gründen auch immer aufs Handzeichnen angewiesen ist, sollte so vorgehen:

 

 

 

Nach den Maßen aus der ersten Skizze zeichnet man in ausreichend großem Maßstab zunächst die Seitenansicht. Hier wird man Â? genau wie bei der Computermethode Â? mit Sicherheit Ungenauigkeiten und Fehler in den Maßen finden. Ein guter Strak ist aber wichtiger als 100%ige Maßhaltigkeit und so muss man diese Fehler eben von Hand ausbügeln, wenn man seine Aufmaßpunkte mit der Straklatte verbindet.

 

 

 

Als nächstes folgt darunter die Draufsicht (so kann man wunderbar Maße von einer Ansicht in die andere übertragen), in die man dann schon mal die Konstruktionswasserlinie einzeichnet. Damit hat man dann schon genug Punkte, um sich an den Hauptspant und den Spiegel zu wagen.

 

 

 

Wenn man mit diesen zufrieden ist, zeichnet man nach den beiden Spanten weitere Wasserlinien (in die Draufsicht, die somit ein Wasserlinienriss wird). Ausgehend von diesen Wasserlinien kann man nun beliebig viele Spanten zeichnen, da man ja nun für jeden z-Wert einen Â? vorläufigen!!! - y-Wert kennt. Die Höhe der Wasserlinien hat man ja selbst festgelegt, üblich sind glatte Abstände wie 0m, 0.5m, 1m, 2m, 3m usw.

 

 

 

Nun wird man beim Zeichnen der weiteren Spanten garantiert feststellen, dass die zunächst nach Gefühl angenommenen Wasserlinienverläufe nicht korrekt sind und sich z.T. abenteuerlich aussehende Spantformen ergeben. In diesem Fall heißt es leider, den kranken Spant zu korrigieren und aus den korrigierten y-Werten die Wasserlinien wieder zu modifizieren, wodurch möglicherweise andere, schon passende Spanten wieder nach den neuen Wasserlinien modifiziert werden müssen. Je nach Rumpfform und Vorstellungsvermögen, welchen Einfluss ein Kurvenverlauf auf die Form hat, sollten die notwendigen Korrekturen schon nach wenigen Spanten schnell kleiner werden. Zum Übertragen der Maße von einer Ansicht in die andere hat es sich bewährt, diese mit schmalen Papierstreifen abzunehmen. Das geht viel schneller, einfacher und mit kleinerem Fehlerrisiko als alles mit dem Lineal auszumessen.

 

 

 

Nachdem man nun einige Spanten fertiggezeichnet und auch alle weggelassenen Details wie z.B. die o.g. Wellentunnel eingezeichnet hat, sollte man zur Kontrolle noch einige Längsschnitte (auch kurz als "Schnitte" bezeichnet) und Senten (Diagonalschnitte) zeichnen. Während die Schnitte durchaus Knicke, Absätze und Beulen haben können, weil es sich aus der Rumpfform eben so ergibt, zeigen Unregelmäßigkeiten in den Senten fast immer, dass noch Fehler im Riss vorhanden sind. "Fast" deshalb, weil nur in speziellen Fällen wie beim Ausschnitt am Heck der Wally schon mal Versatze auftreten können.

 

 

 

Den Abschluss der Arbeiten macht eine kurze Berechnung der Hydrostatik: Man ermittelt die einzelnen Spantflächen (bei Rundspanten nach der Simpson-Regel oder mit einem Planimeter, bei Knickspanten einfach durch geeignete Zerlegung in rechtwinklige Dreiecke und Rechtecke) und zeichnet danach eine Spantarealkurve, indem man die jeweiligen Spantflächen als parallele Linien mit dem jeweiligen Spantabstand aufträgt. Dabei entspricht z.B. 1cm Länge 1m² Spantfläche (den Maßstab muss man natürlich jeweils sinnvoll selber wählen). Die Linien verbindet man nun zu einer Kurve, deren Fläche man wiederum mit Simpson oder dem Planimeter bestimmt. Diese Fläche stellt nun die halbe Verdrängung, also das halbe Volumen des Unterwasserschiffes und die Position des Flächenschwerpunkts in x-Richtung den Auftriebsschwerpunkt in x-Richtung dar. Das halbe Volumen deshalb, weil man von den Spanten ja nur jeweils eine Hälfte gezeichnet hat.

 

 

 

Man kann das Volumen natürlich auch rein numerisch bestimmen (mit Simpson), aber gerade in Fällen, wo man unterschiedliche Spantabstände hat, kann es mit der Spantarealkurve übersichtlicher und anschaulicher sein. Außerdem gibt es keine einfachere Methode, den Auftriebsschwerpunkt zu ermitteln.

 

 

 

Wer seine Zeichnung besonders schön machen möchte, achte bitte auf die im Schiffbau üblichen Konventionen: Man zeichnet beim Linienriss grundsätzlich die Backbordseite von innen gesehen, der Bug zeigt also nach rechts. Der Wasserlinenriss liegt unter dem Längsriss und der Spantenriss auf gleicher Höhe wie der Längsriss; entweder genau in der Mitte oder rechts daneben (seltener auch links daneben). Letzteres ist natürlich bei komplizierten Formen weniger verwirrend. Die halben Spanten des Vorschiffes werden rechts, die des Achterschiffes links gezeichnet; der Hauptspant auf beiden Seiten. Die Senten plaziert man unterhalb des Wasserlinenrisses. Spanten werden mit arabischen Ziffern bezeichnet, je nach präferiertem System entweder mit der 0 im hinteren Lot (HL), das durch die Ruderachse verläuft und dann nach vorne aufsteigend gezählt (Spanten hinter dem HL haben negative Zahlen) oder angelsächsisch mit 0=VL (Schnittpunkt der CWL mit der Stevenkontur), dann nach achtern aufsteigend gezählt. Wasserlinen werden von unten aufsteigend mit WL0, (WL0.5), WL1, WL2 usw. bezeichnet, Schnitte bekommen von Mitte Schiff nach außen aufsteigende römische Ziffern und die Senten von oben nach unten kleine Buchstaben a, b, c,...

 

 

 

Riss.jpg

 

(Bild 5 - Linienriss der 118' WallyPower)

 

 

 

Nachdem man den Linienriss fertig hat, ist das "Schlimmste" auch schon überstanden. Die Aufbauten und alle anderen Details zu zeichnen, sollte spätestens nach den Erfahrungen, die man beim Linienriss gesammelt hat, kein sonderliches Problem darstellen.

 

 

 

Ich als wie gesagt Papierhasser habe nach dem Riss mit SolidWorks weitergemacht und hier alle vorher weggelassenen Teile an den Rumpf angebracht sowie das Deckshaus modelliert. Aus diesem Volumenmodell können nun druckfähige Zeichnungen abgeleitet werden, nach denen man sein Modell bauen kann.

 

 

 

Zum Abschluss noch einige Bilder meines SolidWorks-Modells und des Originals:

 

 

 

wp1.jpg

 

wp2.jpg

 

wp3.jpg

 

wp4.jpg

 

WP118_1.jpg

 

WP118_2.jpg

 

WP118_3.jpg

 

 

 

Dem bis hierhin ausgehalten habenden Leser schönen Gruß aus Kiel,

 

 

 

Ole aka Motti

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